Verlustig gegangen ... - entdeckt en passant.

ALDI-Markt an der Ratzeburger Allee
ALDI-Markt an der Ratzeburger Allee

Haus-Erweiterung
Nicht dass man von Aldi besonders hervorragende Architektur erwartet oder gar einfordert... - Jedoch Lübeck hat sogar zwei „besondere“ Aldi-Bauten vorzuweisen bzw. hatte zwei vorzuzeigen. Einen an der Kanalstraße, damals als einer der ersten Bauten, die der „hohe“ Gestaltungsbeirat zu beurteilen hatte. Und einigermaßen gelang danach auch das groß-begrünte Dach vor der historischen Stadtmauer-Linie1. Beim zweiten Aldi-Laden steckte Aldi-Nord seine architektonischen Ziele weit höher - an der Ratzeburger Allee entstand ein „Prototyp“ (so ist es mir erinnerlich) mit elegant-gekurvter, schmal und dünn gestalteter Rundum-Traufe, auf einem „Sockel“ stehend, mit einer sauber detaillierten Fassadengliederung samt Oberlichterstreifen, großzügiger Eingangsverglasung etc.. Wie man sehen konnte, eine ganz ansehnliche Anlage, auch innen. - Sicherlich nicht wegen dieser brauchbaren Architektur, musste in 2019 offensichtlich eine Erweiterung her. Beim Bauen wurde bald sichtbar, dass nicht einfach - naheliegend und selbstverständlich - eine gleichartige Verlängerung des Vorhandenen geplant worden war, sondern - back to the Aldi-roots - sollte es wieder der aldi-nord-typische Ziegel sein, FD2 mit Attika wie gehabt - den Rest erspar’ ich mir und verweise auf die Fotografien ⇒ c’est ça!
Fragen bleiben natürlich:
- Was sagt der/die Architekt_in des „1.Bauabschnitts“ zu dieser rüden Verlängerung?
- Was und wie denkt eine Aldi-Nord-(Bau-)Verwaltung - außer einige oder „viele“ Euros einzusparen?
- Hätte eine/r aus der Bauverwaltung nicht einen kleinen, nachdrücklichen (gestalterischen) Hinweis3 geben können? Oder jemand „Höheres“ hätte ein baukulturell werbendes + aufklärendes Telefonat mit der Aldi-Geschäftsleitung „informell“ geführt?

 

Der Gully-Deckel am Mühlendamm
Der Gully-Deckel am Mühlendamm

Gully-Deckel4
Der heißt natürlich im Fachjargon gemäss DIN EN 124 / DIN 1229 und DIN 19584 richtigerweise „Straßenablauf“. Vielleicht liegt in diesen DIN-Verlautbarungen auch die Ursache des Verschwindens, welches ich hier beklage. Denn es geht hier um einen Strassenablauf vermutlich vor oder ausserhalb normierender Regelungen, der jahrzehnte-lang seinen Dienst versah direkt gegenüber dem Sitz der Lübecker Bauverwaltung; sozusagen unter amtlicher Kontrolle mit direkter „Auf-Sicht“. Die Straße Mühlendamm besaß (und besitzt wieder) ihr historisches Großteinpflaster. Dieses bergauf langsam und ein bischen mühsam mit dem Rad hochfahrend, fiel der Blick wegen der ausgefahrenen Straßenoberfläche häufig auf den Boden, und erfreute mich - trotz der kleinen Fahrrad-Plagerei, die ich aber gern dem historischen Pflaster zubillige - durch einen alten, handgeschmiedeten „Gully“. Dieser war der einzige hier in der Stadt, den ich kenne, der noch seine Dienste versah. Eine gegenständliche Nebensächlichkeit, die durch ihre Handwerklichkeit ein wenig (Entwässerungs-) Geschichte erzählte, davon - wie es früher wohl war (ohne DIN-Reglementierungen). Ein Schmied mochte die Einzelteile gefügt haben, der Steinsetzer (bis heute ein Lehrberuf) die passenden Randsteine herausgesucht und zurechtgeschlagen haben... All dies eine etwas davon angeregte, „romantische“ Fantasiererei, denn eine wassertechnische Kanalisationsgeschichte der Hansestadt Lübeck ist mir nicht geläufig, eine Datierung nicht möglich. Ein Hauch von alten Zeiten konnte ich beim Passieren (und Strampeln) mitnehmen... 2019 dann war dort am Mühlendamm eine „Straßen-Baustelle“. Das hatte ich schon gedacht und erhofft, als einige Zeit davor eine Vielzahl an Betonstein-Flicken in das historische Pflaster verlegt worden waren; ich hoffte und vermutete: eine vorläufige Sicherheitsmaßnahme. Richtig! Aber wo war beim Neupflastern „mein“ alter Straßenablauf geblieben? - Kurz resumiert: befragte Bauarbeiter wussten nichts, ein Bauleiter (?) ebenfalls nicht; die wohlsortierten Bauabfallstoffe und Restehaufen (zur Abfuhr) enthielten nichts: weg ist der Rost und seine Naturstein-Einfassung! Trotz neu+gut gepflasterter Straßenoberfläche (das Poly(gonal)pflaster ist immer ein bischen mühselig per Rad zu befahren) bleibt zumindest mir m/ein Verlust... - schade.
Fragen bleiben natürlich auch...:
- Konnte es sein, dass keiner der beteiligten Bauarbeiter, Tiefbauplaner_innen oder derer aus dem Bereich „Planen & Bauen“ (von gegenüber) dies einmalige „Kleinod“ gesehen hat? Wurde es jahrzehnte-lang5 übersehen?
- Oder aber: vielleicht hat ein wissendes + wertschätzendes Auge ja doch das „gute Stück“ gerettet; im Büro ausgestellt oder in seinen Garten verpflanzt (dann sei es ihm / ihr als Retter_in gegönnt!)?
- Wieviel erzählende bauliche Kleinigkeiten in unserer Stadt6 gehen Tag für Tag aus Unachtsamkeit und Schlimmerem verlustig? Werden übersehen, vergessen, vernichtet?

 

Blinkende Zinkblechprofile auf den Gesimsen
Blinkende Zinkblechprofile auf den Gesimsen

Nur ein Gesims
Am Mönkhofer Weg steht ein über Lübeck hinaus - jedenfalls für den Schulbau und die Reformpädagogik - wichtiges Baudenkmal, die „Klosterhofschule"7. Über diese kann man viel Baugeschichtliches berichten, wie „modern“ die Schule bei der Einweihung 1931 war, dass dort Schul- und Bauverwaltung zukunftsorientiert zusammenwirkten. Der Stadtteil St. Jürgen wurde damals erweitert durch die vielen vorbildlichen Siedlungsbauten und Arbeiterwohnungen und erhielt mit der Schule sozialpolitisch hier seinen eigenen kulturellen Veranstaltungssaal - die Aula. Dazu kamen eine Zweigstelle der Volksbücherei mit Leseraum, eine Sternwarte, ein Schularztzimmer, Sport- und Gymnastikhallen und viele neuartige Räume für den Fachunterricht. Alle diese sozialen und pädagogischen Errungenschaften erhielten hier großzügig ihre Räumlichkeiten, geplant durch den städtischen Baudirektor Hans Pieper als Architekten.

Diese Gebäudegruppe zeigte sich in Form und Gestalt beeinfusst vom Neuen Bauen mit seinen kantigen, klaren Quadervolumen, den horizontalgereihten Fensterbändern, Flachdach - jedoch auch mit zwei Kuppeln über den beiden Treppenhäusern und ist auch mit seiner Symmetrie der Eingangsfassade nicht ohne Pathos bzw. atmet eine latente Monumentalität. Die kubischen Teilbauten wollen keine Leichtigkeit und Transparenz wie das Bauhaus es anstrebte, sondern stehen „fest auf dem Boden“ und verbergen ihre Modernität mittels einer norddeutschen Ziegelsichtigkeit, die in der ersten Hälfte des 20. Jh. eher für ruppige industrielle Bauten benutzt wurde.
Die horizontale, liegende Wirkung der Fassaden des Hauptbaus wird unterstrichen bzw. miterzeugt von mehreren fein-schmalen Gesimsen aus demselben Ziegel-Material; sozusagen schmale „Nähte“ oder kantige Linien - umlaufend aufgesetzt auf den schlichten Baukörper.

Diese Fassaden wiesen einige Schäden auf, vor allem in der Sturzzone der Fensterreihen und waren lange eingerüstet, gesichert und wurden später auch repariert. - Man schaut ja nicht immer mit genauem Blick die Gebäude an, an denen man vorbeiradelt. Dann aber bemerkte ich irgendwann, dass etwas nicht stimmte... Und schaute schliesslich genauer die Gesimse der Straßenseite an, dann die um die Ecke an der nicht-reparierten Stirnfassade. Tatsächlich hat „man“ bei der Fassadenreparatur ein breites Zinkblechprofil als Verdachung oberhalb der Sturz-Gesimse eingebaut. Nun blinkt es dreimal metallen über die gesamte Fassadenlänge, die feinen horizontalen Ziegel-Linien wurden vergröbert bzw. entstellt. Sie wirken durch die andere Materialität als deutliche waagerechte Fassadenteiler; die monolithische, einheitliche Mauerwerkserscheinung der Hauptfassade ist verloren... - perdue8.
Fragen - und vergebliche Antworten - bleiben:
- Hat niemand diesen deutlichen Eingriff in die Fassadenwirkung vorher bemustern und bewerten lassen?
- Wer ist dieser Niemand bzw. wer war hier unachtsam? Der denkmalpflegerisch-erfahrene Bereich „Gebäudemanagement“ der Hansestadt Lübeck, deren verantwortungsvolle Denkmalpflege? Ein beauftragter Architekt? Ein un-/wissender Handwerker?
- Gewollt ist vermutlich eine gut-gemeinte, bessere Feuchtigkeitsabwehr; jedoch fast 90 Jahre lang „ging es auch so“ bzw. abundzu braucht es eine gewissenhafte Nachverfugung9, vielleicht auch Steinauswechslung - wie bei jedem Denkmal - das nicht DIN-konform und bautechnisch perfekt hergerichtet werden kann und muss. Darf ein historisches Bauwerk nicht altern - und s/ein leicht bröckeliges Original-Gesims behalten? Da sei der denkmalpflegerische Sachverstand davor - oder?

#
All dies allgegenwärtige Verlustig-gehen macht nachdenklich, bleibt oft skandalös, wirft Fragen nach Achtsamkeit und Verantwortlichkeit auf, macht betrübt... - mitunter besonders durch scheinbare Nebensächlichkeiten und anschauliche Kleinigkeiten.

kb

 

Juni 2020


1 Wenn auch mit dem herben Verlust eines pittoresken historischen Werkstatt-Ensembles, welches fuer die industrielle Lübecker Wirtschaftsgeschichte, 1920 hier an der „Wakenitzmauer“ z.B. Firma Baader, gut haette stehen (bleiben) und umgenutzt werden können.

2 Fachkürzel fuer Flachdach

3 ... mehr ist ja baurechtlich nicht drin; „Verunstaltungen“ sind schwierig juristisch zu belegen.

4 lt. Duden (download 06.05.2020) urspruenglich aus dem Englischen; das hiesse eigentlich korrekt  auszusprechen nach Lautschrift: „ˈgʌlɪ“; zu hoeren unter: https://dictionary.cambridge.org/de/aussprache/englisch/gully

5 Einige Jahre zuvor hatte ich 'mal mit jemanden von der Denkmalpflege darueber gesprochen...

6 und mir selbst...

7 heute offiziell: GGS St.Jürgen

8 Die Stirnseiten sind noch original und erlauben diesen offenbarenden Fassadenwirkungsvergleich.

9 Wie es aussieht, wenn man ein Bauwerk nicht rechtzeitig und ausreichend unterhaelt, zeigt die dortige, ebenfalls historische Schul-Umfassungsmauer. Seit Jahren waere ein Nachverfugen zum Erhalt noetig und einfachst moeglich; durch die starke Rissbildung aber dringt seit langem staendig Feuchtigkeit ein, auch an den Befestigungspunkten der horizontalen Eisenstangen. Das Resultat kennt man...; vor einiger Zeit schon „musste“ ein Teilabschnitt neu aufgemauert werden - jedoch ist meines Wissens nach solches Tun keine denkmalgerechte Unterhaltungsmassnahme.